Mittwoch, 28. November 2007

Eine kleine Geschichte auch für große Menschen

Das Festmahl im Himmel
Der Herr über Himmel und Erde, über Leben und Tod, über Engel und Teufel, der ja auch der Herr über uns Menschen ist, über unsere vierbeinigen Freunde, über alle Tiere, ja sogar der Herr über die Bäume und Blumen, Sträucher und alle anderen Pflanzen, hatte diejenigen Himmelswesen, die als Engel galten, und jene Geister, die man für Teufel hielt, zu einem Festmahl in den Himmel geladen.
Die Engelchen und die B-Engelchen hatten sich im Himmel eingefunden, fast alle. Manche Schutzengel waren unabkömmlich, und auch der Todesengel hatte nach wie vor alle Hände voll zu tun. Der Fürst der Unterwelt hatte seine Vertreter geschickt, denn er wollte nun doch nicht Gefahr laufen, dass die höllischen Fegefeuer, die die Seelen reinigen sollten, ganz unbeaufsichtigt blieben und die Hitze nicht mehr feurig-heiß genug wäre, um das Seelengold von all dem Gemütsschmutz zu befreien, der sich in einem Leben angesammelt hatte.
Und, um auch in diesem Punkt bei der Wahrheit zu bleiben: Das besagte Festmahl fand nicht im allerhöchsten Himmel statt, sondern dort, wo die Teufelchen gerade nicht so stark von der Himmelsliebe erfasst wurden, dass sie ihre Aufgaben nicht vergessen würden. Und es war auch ein solcher Ort im Himmel, an dem andererseits die Engelchen doch noch genug himmlisches Licht sahen, um ihre Seelchen nicht verkümmern zu lassen.

Also gut, die beiden Heerscharen hatten sich eingefunden und saßen – säuberlich getrennt – auf den beiden Seiten eines unermesslich langen Tisches, der auf recht stabilen Wolken ruhte. Dieser Himmelstisch war wie ein überfließendes Füllhorn voll wunderbarster Gerichte. Nun gibt es im Himmel allerdings keine Fleischtöpfe und Fischpfannen oder Geflügelsuppen, sondern das köstlichste Manna, das delikateste Ambrosia und die herrlichsten Elixiere. Selbst den B-Engelchen lief das Wasser im Munde zusammen, so dufteten die himmlischen Gerichte, die noch dazu in den leuchtendsten Farben funkelten oder gold und silbern irisierend schimmerten.
Eine Stimme – die des Herrn – erklang und bat alle Versammelten, sich nun am gedeckten Tisch zu bedienen. „Lasset es euch munden nach Herzenslust“, sagte die Stimme, „nur müsst ihr eine Bedingung einhalten: Ihr dürft euch an so vielen Speisen und Getränken laben, wie ihr wollt, dabei dürft ihr aber eure Arme nicht beugen, wenn ihr die Gerichte vom Tisch auf die goldenen Teller vor euch tut, und ihr dürft eure Arme auch dann nicht beugen, wenn ihr das goldene Besteck zum Munde führt.“

Ein Festmahl, bei dem man nicht die Arme beugen darf? Wie soll denn dann das Essen in unseren schon wässrig gewordenen Mund gelangen? Probiert es doch selbst einmal aus, ob es euch gelingen mag. Nun denn, die Teufelchen rätselten hin und her, wurden schnell recht ungeduldig – wie es angeblich ihrer Natur entspricht – und kamen bald auf den Verdacht, dass sich der Herr aller Himmel einen ungebührlichen Spaß mit ihnen erlaubte und sich über ihre Hilflosigkeit nur lustig machen wollte. Laut beschwerten sie sich und riefen ihren Vorwurf hinauf, in das Licht über dem langen Tisch, aus dem die Stimme des Herrn erklungen war.

„Nein, nein, ihr Lieben, ich treibe keineswegs irgendeinen Schabernack mit euch“, wollte die wohlklingende Stimme sie beruhigen. Doch die B-Engelchen stoben einer nach dem anderen hinfort und sausten in die Reiche, in denen sie sich wohler fühlten. Schließlich wussten sie, welche sicheren, wenn auch nicht so verlockenden Gaumenfreuden dort auf sie warteten. Manche von ihnen konnten sich nicht enthalten, ihrem Ärger über die verheißungsvolle Einladung, die aber zu keinerlei wirklichem Genuss führte, Ausdruck zu verleihen, indem sie noch ein bisschen Schwefeldunst hinter sich ließen.

Unterdessen hatten die Engel sich überlegt, wie sie es wohl anstellen können, sich an den Köstlichkeiten der himmlischen Tafel zu erfreuen, ohne beim Essen ihre Arme zu beugen. Das jüngste Engelchen, das der gelehrten Unterredung der weisen alten Erzengel über dieses Problem nicht recht folgen konnte, nahm ein goldenen Löffelchen in die kleine Puttenhand, tauchte tief in den göttlichen Wackelpudding ein, der vor ihm stand und in allen Regenbogenfarben leuch-tete. Er musste ordentlich balancieren, dass er sein Ärmchen ordentlich gerade hielt und die große Portion Pudding nicht vorzeitig vom Löffelchen wackelte. Vorsichtig führte er das Löffelchen zu einem Nachbarengel, der ziemlich blass und mager aussah, als ob er sehr rasch eine besondere Stärkung brauchte. Dieser war überrascht, als er vor seinem Mund ein Löffelchen mit der schönsten Portion Wackel-Manna sah. Er machte seinen Mund auf, und das kleine Engelchen fütterte ihn dann.

„Seht nur, seht nur“, riefen einige Engel, die beobachtet hatten, was geschehen war. Nun fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: Indem sie sich gegenseitig beim Essen halfen, konnten sich alle an den reichlichen Gaben erfreuen, ohne je ihre Arme zu beugen.
„Merkwürdig“, meinte einer der Erzengel, „dass der kleinste Engel weiß, wie man im Himmel isst“ „Nicht so merkwürdig, wie ihr meint“, ließ sich die himmlische Stimme vernehmen. „Erinnert ihr euch nicht an das Wort eines meine Botschafter, den ich vor langer Zeit auf die Erde gesandt hatte?
Es sei denn, dass ihr
werdet wie die Kinder, sonst könnt ihr das Reich Gottes nicht erlangen!“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.