Sonntag, 23. August 2015

Angst ist wahrscheinlich das Phänomen, das uns am stärksten davon abhält, unserer Wahrheit zu folgen.

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Der Begriff Angst leitet sich von dem indogermanischen anghu = „beengend“ ab. 
Das beschreibt gut, was wir oft empfinden, 
wenn wir am Rand unserer Komfortzone stehen: Es wird eng. 
Unsere Kehle schürt sich zusammen; die Knie werden weich.
Wir wissen, was wir eigentlich tun wollen und… tun es dann oft nicht.
In Gesprächen über diesen Moment des „Kneifens“ höre ich manchmal den Wunsch nach einem angstfreien Leben heraus. Viele Menschen versuchen ihre Angst zu bekämpfen, zum Beispiel durch ein künstlich-cooles Auftreten, esoterisch angehauchte Wohlfühlphrasen oder Alkohol. 
Ich möchte Dir eine Alternative vorschlagen:
Freunde Dich mit Deiner Angst an.
Sie ist nicht Dein Gegner, sondern ein natürlicher Warnhinweis,
 der Dir signalisiert: „Achtung! 
Du bist kurz davor, die bekannte Zone zu verlassen.
 Ich kann Dir nicht versprechen, dass der nächste Schritt noch sicher ist.“ Und das ist die Wahrheit.
 Wenn Du Neuland betrittst, weißt Du nicht, was auf Dich zukommt.
 Du kannst ausgelacht, verletzt, verraten, verkauft, manipuliert, in die Irre geleitet oder verlassen werden. 
Davor möchte Dich Deine Angst beschützen.
Achte sie dafür, aber lass Dir nicht von ihr diktieren, was Du tust. Das eigentliche Problem ist nicht die Erfahrung von Angst im Körper, sondern ein disziplinloser Umgang mit ihr in Deinem Geist. Das Phänomen Angst auf körperlicher Ebene mag unangenehm sein, aber so, wie es kommt, geht es auch wieder. Doch wenn Du Deinem Verstand erlaubst, in Fantasien abzugleiten, was alles passieren könnte, wird die Angst wieder und wieder stimuliert. So verwandelt sich ein natürliches Signal in einen chronischen Zustand von Ängstlichkeit Unruhe und Besorgnis. Hypnotisiert starrst Du dann auf die interne Leinwand der von Dir selbst kreierten Horrorszenarien und bleibst wie gelähmt auf Deinem Hintern sitzen.
Erlaube Dir, alle Symptome Deiner Angst auf körperlicher Ebene willkommen zu heißen und Dich gleichzeitig konzentriert auf das auszurichten, was Du wirklich willst. Spür Deinen erhöhten Pulsschlag, die schlackernden Knie, die enge Brust und sag innerlich: „Okay, da ist es wieder! Wieder einmal stehe ich am Rande einer unbekannten Welt“.
Ich weiß, das klingt banal, doch probiere es aus. Nur, wenn wir gegen diese Symptome kämpfen, wird es schlimmer. Ich habe zum Beispiel bis heute mein Lampenfieber vor Vorträgen nicht im Griff. Ich will es auch gar nicht mehr in Griff bekommen. Es macht mich wach. Es bereitet mich auf eine Begegnung mit vielen Menschen vor, bei der immer alles Mögliche passieren kann. Doch was ich lernen musste, ist die Kunst, meinen Geist in diesem Grenzmoment genau auf das auszurichten, was ich will.
Was kannst Du tun, wenn die Angst Dich lähmt, den nächsten Schritt zu tun?
Nun, Du besitzt eine wertvolle Gabe, Du kannst Dich in Deiner Vorstellung darauf konzentrieren, was Du durch diesen Schritt erreichen willst. Du kannst in Deinem Geist einen Grund finden, der Dich so stark motiviert, dass Du auf den die Lähmung überwindest. In meinen Augen gibt es keine Feiglinge, sondern nur Menschen, denen der richtige Grund abhanden gekommen ist, es trotz aller Widerstände zu versuchen.
Was ist ein richtiger Grund?
Alles, was Dich stark berührt und entflammt. Dafür reichen rational gut klingende Argumente oft nicht aus. Du musst die eine Sache finden, die Dein Stammhirn in Ekstase versetzt. Denn Deine Vernunft allein wird Dich nicht auf die andere Seite bringen. Du musst das Ziel finden, das alle Deine Ressourcen – Deinen Körper, Deinen Geist, Dein Herz – miteinander in Entschlossenheit vereint. In jedem von uns glimmt, brennt oder lodert eine mächtige Sehnsucht. Ihr Feuer erinnert Dich daran, wer Du sein kannst. Es erinnert Dich an ein Versprechen, das Du Dir selbst gegenüber einlösen musst. Dieses Feuer ist mächtiger als jede Angst.
Wie findest Du den richtigen Grund?
Wenn Du das nächste Mal an so einer Schwelle stehst, nimm Dir Zeit für die folgenden drei Schritte:
Fühle die Angst in Deinem Körper. Wo genau kannst Du sie spüren? Schau, was geschieht, wenn Du dieses Mal anders, freundlicher über sie denkst. Zum Beispiel so: „Ah, da ist sie wieder, meine Freundin, meine alte-neue Erregung vor dem Unbekannten!“
Schreibe auf, wovor Du Angst hast. Was kann alles an schlimmen Dingen passieren? Weiche nicht aus, bring es aufs Papier. Diese Dämonen verliert einen Großteil ihrer Kraft, wenn sie gesehen, angesprochen und aufgeschrieben werden. Ach, übrigens, kennst Du den besten Witz eines menschlichen Lebens? Alles, wovor Du Dich fürchtest, weil es passieren könnte, wenn Du wirklich authentisch agierst, wird sowieso passieren. Du wirst Menschen verlieren. Du wirst Dich blamieren. Du wirst hinfallen. Du wirst Dich verletzen. Du wirst altern. Du wirst immer wieder allein sein. Und Du wirst sterben. Die Frage ist nicht, ob dies alles geschehen wird, sondern ob Du es ängstlich verkrampft auf den Zuschauerrängen erlebst oder mitten auf dem Spielfeld – wach, wild und lustvoll schnaufend.
Der wichtigste Teil: Schreibe mindestens zwanzig Gründe auf, warum Du Dich trotz Deiner Angst in Bewegung setzen wirst. Was wirst Du langfristig verlieren, wenn Du auf Deinem Hintern hocken bleibst? Was wirst Du kurz- und langfristig gewinnen, wenn Du diesen Schritt machst? Achte beim Notieren der Gründe darauf, welche davon Dich wirklich bewegen. Wo fängt Dein Stammhirn an zu „britzeln“? Irgendwo in Dir gibt es den einen Grund, der die Macht hat, Dich von den Fesseln Deiner Zaghaftigkeit zu befreien und in Bewegung zu setzen.

PS: Wenn Du wieder einmal zögerst, Deiner Wahrheit zu folgen, stell Dich vor den Spiegel. Schau liebevoll auf das vergängliche Fleischklöpschen, in dem Deine leuchtende Seele wohnt, und sage Dir: „Das wird bald den Würmern als Futter dienen. Worauf warte ich noch?