Der Begriff Angst leitet sich von dem
indogermanischen anghu = „beengend“ ab.
Das beschreibt gut, was wir oft
empfinden,
wenn wir am Rand unserer Komfortzone stehen: Es wird eng.
Unsere
Kehle schürt sich zusammen; die Knie werden weich.
Wir wissen, was wir eigentlich tun wollen und… tun es dann
oft nicht.
In Gesprächen über diesen Moment des „Kneifens“ höre ich
manchmal den Wunsch nach einem angstfreien Leben heraus. Viele Menschen
versuchen ihre Angst zu bekämpfen, zum Beispiel durch ein künstlich-cooles
Auftreten, esoterisch angehauchte Wohlfühlphrasen oder Alkohol.
Ich möchte Dir
eine Alternative vorschlagen:
Freunde Dich mit Deiner Angst an.
Sie ist nicht Dein Gegner, sondern ein natürlicher
Warnhinweis,
der Dir signalisiert: „Achtung!
Du bist kurz davor, die bekannte
Zone zu verlassen.
Ich kann Dir nicht versprechen, dass der nächste Schritt
noch sicher ist.“ Und das ist die Wahrheit.
Wenn Du Neuland betrittst, weißt Du
nicht, was auf Dich zukommt.
Du kannst ausgelacht, verletzt, verraten,
verkauft, manipuliert, in die Irre geleitet oder verlassen werden.
Davor möchte
Dich Deine Angst beschützen.
Achte sie dafür, aber lass Dir nicht von ihr diktieren, was
Du tust. Das eigentliche Problem ist nicht die Erfahrung von Angst im Körper,
sondern ein disziplinloser Umgang mit ihr in Deinem Geist. Das Phänomen Angst
auf körperlicher Ebene mag unangenehm sein, aber so, wie es kommt, geht es auch
wieder. Doch wenn Du Deinem Verstand erlaubst, in Fantasien abzugleiten, was
alles passieren könnte, wird die Angst wieder und wieder stimuliert. So
verwandelt sich ein natürliches Signal in einen chronischen Zustand von Ängstlichkeit
Unruhe und Besorgnis. Hypnotisiert starrst Du dann auf die interne Leinwand der
von Dir selbst kreierten Horrorszenarien und bleibst wie gelähmt auf Deinem
Hintern sitzen.
Erlaube Dir, alle Symptome Deiner Angst auf körperlicher
Ebene willkommen zu heißen und Dich gleichzeitig konzentriert auf das
auszurichten, was Du wirklich willst. Spür Deinen erhöhten Pulsschlag, die
schlackernden Knie, die enge Brust und sag innerlich: „Okay, da ist es wieder!
Wieder einmal stehe ich am Rande einer unbekannten Welt“.
Ich weiß, das klingt banal, doch probiere es aus. Nur, wenn
wir gegen diese Symptome kämpfen, wird es schlimmer. Ich habe zum Beispiel bis
heute mein Lampenfieber vor Vorträgen nicht im Griff. Ich will es auch gar
nicht mehr in Griff bekommen. Es macht mich wach. Es bereitet mich auf eine
Begegnung mit vielen Menschen vor, bei der immer alles Mögliche passieren kann.
Doch was ich lernen musste, ist die Kunst, meinen Geist in diesem Grenzmoment
genau auf das auszurichten, was ich will.
Was kannst Du tun, wenn die Angst Dich lähmt, den nächsten
Schritt zu tun?
Nun, Du besitzt eine wertvolle Gabe, Du kannst Dich in
Deiner Vorstellung darauf konzentrieren, was Du durch diesen Schritt erreichen
willst. Du kannst in Deinem Geist einen Grund finden, der Dich so stark
motiviert, dass Du auf den die Lähmung überwindest. In meinen Augen gibt es
keine Feiglinge, sondern nur Menschen, denen der richtige Grund abhanden
gekommen ist, es trotz aller Widerstände zu versuchen.
Was ist ein richtiger Grund?
Alles, was Dich stark berührt und entflammt. Dafür reichen
rational gut klingende Argumente oft nicht aus. Du musst die eine Sache finden,
die Dein Stammhirn in Ekstase versetzt. Denn Deine Vernunft allein wird Dich
nicht auf die andere Seite bringen. Du musst das Ziel finden, das alle Deine
Ressourcen – Deinen Körper, Deinen Geist, Dein Herz – miteinander in
Entschlossenheit vereint. In jedem von uns glimmt, brennt oder lodert eine
mächtige Sehnsucht. Ihr Feuer erinnert Dich daran, wer Du sein kannst. Es
erinnert Dich an ein Versprechen, das Du Dir selbst gegenüber einlösen musst.
Dieses Feuer ist mächtiger als jede Angst.
Wie findest Du den richtigen Grund?
Wenn Du das nächste Mal an so einer Schwelle stehst, nimm
Dir Zeit für die folgenden drei Schritte:
Fühle die Angst in Deinem Körper. Wo genau kannst Du sie
spüren? Schau, was geschieht, wenn Du dieses Mal anders, freundlicher über sie
denkst. Zum Beispiel so: „Ah, da ist sie wieder, meine Freundin, meine
alte-neue Erregung vor dem Unbekannten!“
Schreibe auf, wovor Du Angst hast. Was kann alles an schlimmen Dingen
passieren? Weiche nicht aus, bring es aufs Papier. Diese Dämonen verliert einen
Großteil ihrer Kraft, wenn sie gesehen, angesprochen und aufgeschrieben werden.
Ach, übrigens, kennst Du den besten Witz eines menschlichen Lebens? Alles,
wovor Du Dich fürchtest, weil es passieren könnte, wenn Du wirklich authentisch
agierst, wird sowieso passieren. Du wirst Menschen verlieren. Du wirst Dich
blamieren. Du wirst hinfallen. Du wirst Dich verletzen. Du wirst altern. Du
wirst immer wieder allein sein. Und Du wirst sterben. Die Frage ist nicht, ob
dies alles geschehen wird, sondern ob Du es ängstlich verkrampft auf den
Zuschauerrängen erlebst oder mitten auf dem Spielfeld – wach, wild und lustvoll
schnaufend.
Der wichtigste Teil: Schreibe mindestens zwanzig Gründe auf, warum Du Dich
trotz Deiner Angst in Bewegung setzen wirst. Was wirst Du langfristig
verlieren, wenn Du auf Deinem Hintern hocken bleibst? Was wirst Du kurz- und
langfristig gewinnen, wenn Du diesen Schritt machst? Achte beim Notieren der
Gründe darauf, welche davon Dich wirklich bewegen. Wo fängt Dein Stammhirn an
zu „britzeln“? Irgendwo in Dir gibt es den einen Grund, der die Macht hat, Dich
von den Fesseln Deiner Zaghaftigkeit zu befreien und in Bewegung zu setzen.
PS: Wenn Du wieder einmal zögerst, Deiner Wahrheit zu
folgen, stell Dich vor den Spiegel. Schau liebevoll auf das vergängliche
Fleischklöpschen, in dem Deine leuchtende Seele wohnt, und sage Dir: „Das wird
bald den Würmern als Futter dienen. Worauf warte ich noch?