Montag, 29. Dezember 2014
Die Maske ablegen und das eigene Leben ausgraben
© Helene Drexler Quelle: www.Sein.de
Die meisten Menschen verstecken ihr wahres Ich
und leben
hinter einer Maske.
Das gilt vor allem für Erfolgsmenschen,
wie die Psychologin
Helene Drexler feststellen musste.
Nach außen hin befinden sich Erfolgsmenschen
auf der Sonnenseite des Lebens, doch innen sieht es oft ganz anders aus.
Attraktivität, Erfolg und Beliebtheit - das sind die Maßstäbe, denen sich viele
Menschen unterordnen - bis von der eigentlichen Person nichts mehr übrig ist.
Das dadurch entstehende seelische Leid verbergen viele
beharrlich vor der Außenwelt: die Essstörung, die Alkoholabhängigkeit, die
Kaufsucht, die Sinnlosigkeitsgefühle, die Selbstmordgedanken.
Oft ist es erst
eine schwere Krise, die den Weg der Selbstentfremdung stoppt - verbunden
mit der schmerzlichen Erkenntnis, ein fremdbestimmtes, angepasstes Leben zu
führen.
Mit ihrem Buch
„Maskentanz - Wie Menschen ihr wahres Ich
verstecken"
versucht Helene Drexler auf diese fast unbemerkte Epidemie in
unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen und Menschen zu motivieren, die Maske
abzulegen und ihr wahres Ich wieder auszugraben.
Wir haben mit ihr gesprochen.
Frau Drexler, in Ihrem Buch "Maskentanz" machen
Sie auf ein Phänomen aufmerksam, das eigentlich fast eine der Grundsäulen
unserer Gesellschaft zu sein scheint: Dass so viele Menschen ein
fremdbestimmtes, angepasstes Leben führen, nicht wirklich sie selbst sind -
eine Maske tragen, wie Sie es nennen. Zunächst mal: Warum tun wir das
überhaupt? Auf eine Art scheint es doch fast verrückt, jemand anders sein zu
wollen, als die Person, die man ist. Wo fängt das an? Was motiviert uns dazu?
Welche Ängste stecken dahinter? Welche Bedürfnisse? Und wo geht das alles
schief?
Masken haben meistens eine lebenslange Geschichte und
beginnen mit Verletzungen in der Kindheit. Das kann ein Abgelehnt- oder
Abgewertetwerden sein, aber auch ein Idealisiertwerden. In beiden Fällen lernen
sie „so wie ich bin, bin ich nicht gut (genug)!" Sie beginnen sich so zu
geben, wie sie glauben, dass es erwartet wird, denn sie wollen ja Zuwendung und
Wertschätzung. Sie sind in ihrer Entwicklung abhängig davon. Also werden sie
angepasst oder leistungsstark, immer fröhlich oder besonders lieb, still oder
dominant - je nach dem, was sie für wirkungsvoll halten. Manchmal sind sie
erfolgreich damit, häufig aber nicht. Wenn zum Beispiel ein Elternteil das Kind
immer abwertet, dann liegt das an seinem eigenen Unvermögen und nicht am
Verhalten des Kindes.
Die Sehnsucht anerkannt zu werden bleibt auch als erwachsene Person und die
Verhaltensmuster zementieren sich ein. Die echte Persönlichkeit wird von der
immer dicker werdenden Maske verdeckt.
Sie berichten aus ihrer Praxis, dass gerade jene Menschen,
die besonders erfolgreich und glücklich scheinen, oft die größte Diskrepanz
zwischen Maske und Wirklichkeit aufweisen. Ist hier die „Sehnsucht nach
Anerkennung" am Größten`? Und sind jene Menschen, die sich über Erfolg
definieren, am anfälligsten dafür, ein Leben der Selbstverleugnung zu leben?
Ja, denn die Orientierung am Erfolg ist eine
Außenorientierung. Das heißt, eine Person stimmt nicht mit sich selbst, mit
ihrem Inneren ab, was sie denkt und tun will, sondern orientiert sich nach
außen. Sie schaut, wie sich erfolgreiche Menschen im Umfeld oder in den Medien
verhalten und was MAN tun muss, damit man mitspielen kann. Das bezieht sich auf
den ganzen Lebensstil, aber auch auf Persönliches wie die Sprache, das
Aussehen, den Umgang mit dem Körper. Dinge werden nicht gemacht, weil es mit
einem selbst stimmig ist, sondern weil man damit „in" ist. Damit wird aber
das Eigene, das, was jede Person als Einzigartiges, Individuelles in sich
trägt, zugeschüttet. Das Schlimme ist die Eigendynamik, die entsteht. Je länger
und intensiver Menschen sich nach außen orientieren und danach leben, umso mehr
verlieren sie ihr Gefühl für sich und umso mehr brauchen sie die
Außenorientierung.
Wenn sie sagen „mit sich selbst stimmig", wie kann man
das verstehen? Manche Psychologen sehen den Menschen ja überhaupt eher als eine
Art konditionierte Maschine. Gibt es so etwas wie ein „wahres Ich", eine
Wesensessenz überhaupt?
Mein fachlicher Hintergrund ist die Existenzanalyse, die auf
dem Denken Viktor Frankls basiert. Demnach wird der Mensch als Person gesehen,
die Physisches, Psychisches und Geistiges in sich vereint. Durch die geistige
Dimension erhält die Person Freiheit, das heißt sie kann das Leben frei
gestalten. Natürlich tut niemand das immer, wir reagieren alle bisweilen nach
Konditionierungen. Aber prinzipiell hat die Person die Möglichkeit Stellung zu
nehmen und nach ihrer inneren Stimmigkeit zu entscheiden. Das betrachte ich als
das „wahre Ich", wie Sie es nennen.
Wenn man von einem rein konditionierten Menschenbild
ausgeht, dann fehlt die Freiheit der eigenen Gestaltung. Dann gibt es nichts
Eigenes, Einzigartiges, und damit könnte man auch nicht von einem wahren Ich
sprechen. Mit einem solchen Menschenbild ist nicht erklärbar, wieso Menschen
manchmal ganz anders handeln, als sie es in ihrem Leben erlernt, abgeschaut
oder bisher gepflogen haben. Das tun sie aber ganz offensichtlich.
Sie sprechen in ihrem Buch viel vom "inneren
Kind": Was ist das und warum ist es so wichtig, wenn wir unsere Maske
ablegen wollen?
Das „Innere Kind" ist ein imaginativer Umgang mit
Erinnerungen aus der Kindheit:
Es sind oft die frühen Verletzungen und die daraus entstandenen
Schutzmechanismen, die Menschen davon abhalten ihr eigenes Leben zu gestalten.
Schon seit Sigmund Freud bearbeiten Therapeuten diese Verletzungen damit, sie
zu erinnern, das Geschehene zu betrauern und dadurch einen neuen Weg
beschreiten zu können.
Es hat sich allerdings gezeigt, dass diese Erfahrungen in sogenannten
emotionalen oder bildhaften Bereichen des Gehirns gespeichert sind und dem
kognitiven Denken und Erinnern der erwachsenen Person nicht einfach zugänglich
sind. Deshalb wurde das Konzept des Inneren Kindes entwickelt, mit dem man
effizienter an Erinnerungen des emotionalen Gedächtnisses herankommt und somit
Verletzungen und Mangelerfahrungen schneller und tiefgreifender aufarbeiten
kann. In dieser Methode sieht man das Kind, das man einmal war, vor sich,
beginnt einen imaginativen Dialog mit ihm und stellt ihm als Erwachsener
Möglichkeiten zur Heilung zur Verfügung.
Heilung bedeutet vor allem "das eigene Leben wieder
auszugraben". Wie macht man das? Was sind die wichtigsten Eckpunkte?
Es braucht Selbstbewusstheit, also ein Reflektieren und
Hinterfragen des eigenen Denkens und der eigenen Handlungen. Es braucht aber
auch Mut, denn oft wird dadurch klar, dass unbequeme Stellungnahmen oder auch
Änderungen anstehen, zum Beispiel im Job oder bei Beziehungen. Es bedeutet, mit
anderen manchmal nicht konform gehen zu können und dadurch möglicherweise
Kritik zu ernten. Das kann Angst machen, weil wir ja auch immer zu einer
Gemeinschaft dazugehören wollen. Das ist sicher kein bequemer Weg, aber es ist die
Chance, die jeweils eigene Persönlichkeit zu entfalten.
Ich arbeite auch als Coach und ich beobachte in letzter Zeit immer mehr
Menschen, die selbst bemerken, dass sie unauthentisch sind, die ihre Muster
bewusst wahrnehmen können - aber oft trotzdem nicht "aus ihnen heraus
kommen". Wie ist in ihren Augen der Prozess von Verleugnung bis zur
Authentizität?
In kleinen Schritten. Ich bin eine Verfechterin des
vorsichtigen und oft auch ganz unspektakulären Vorgehens.
Was braucht es? Zuallererst eine Herausnahme aus dem
hektischen Tagesgeschehen, ein Für-sich-allein-Sein, um den Tag oder eine
bestimmte Situation Revue passieren zu lassen. Man kann sich dann fragen, wie
war das für mich und auf die Gefühle achten, die sich einstellen und sich
fragen „Was sagt mir das? Was mache ich damit? Was ist richtig, stimmig für
mich?" Und so beginnt das Hinhören auf die eigene innere Stimme.
Manchmal ist es schwierig, die eigene Stimme von anderen
„Einflüsterern" zu unterscheiden. Dann helfen die Fragen „Was möchte ich
mit meiner Entscheidung in erster Linie? Geht es mir um Anerkennung, Erfolg,
Wichtigsein?" Wenn ich das mit ja beantworte, dann ist es mit großer
Wahrscheinlichkeit eine Beeinflussung von außen. Bin ich wirklich nach innen
orientiert, so stellt sich bei einer richtigen Entscheidung einfach nur
Zufriedenheit und Erfülltheit ein. Wenn das Eigene nicht herausgehört werden
kann, weil Schutzmechanismen und Außenorientierung zu mächtig sind, bedarf es
therapeutischer Hilfe.
Unsere Gesellschaft scheint uns über die kapitalistischen
Wertvorstellungen und auch über die Werbung und die Medien - mit denen wir
quasi ständig konfrontiert sind - fast dazu zu zwingen, uns über Erfolg,
Attraktivität und Beliebtheit zu definieren. Besteht nicht auch hier großer
Handlungsbedarf auf kollektiver Ebene, wenn wir als Gesellschaft gesunden
wollen?
Ja, die Außenorientierung hat natürlich mit den Vorgaben
unserer Gesellschaft zu tun. Sehr verkürzt heißt es: Sei attraktiv, dynamisch,
optimistisch und du bist mit dabei, sonst bist du schnell am Rand. Und obwohl
es dieses gesellschaftliche Credo ist, das die Menschen dazu anhält, nach
diesen Vorgaben zu leben, ist es doch die einzelne Person, die dagegen etwas
tun kann. Denn Veränderungen auf kollektiver Ebene setzen das Bewusst- und Aktiv werden
der Einzelnen voraus.
Haben Sie aus Ihrer Erfahrung als Psychotherapeutin eine persönliche Botschaft
an die Leser, vielleicht auch an die Eltern junger Kinder?
Ja.
Mir ist es ein Anliegen, dass sich Menschen die Frage
stellen.
„Ist es mein Leben, das ich da lebe?
Kann ich, wenn ich so weiterlebe,
am Ende sagen:
es war gut so wie ich gelebt habe?
Es war mein ganz eigener,
stimmiger Weg?"
Für Eltern finde ich es wichtig, ihre Kinder immer wieder zu
ermuntern,
zu sich zu stehen, sich zu fragen:
„Wie sehe ich das?
Stimmt das so
für mich?"
Natürlich sollen Kinder in ihrer jeweiligen Gemeinschaft
integriert sein
und mitmachen können.
Aber ich erlebe, dass das auch möglich
ist, wenn man nicht jeden Trend mitmacht und sich nicht immer der Meinung der anderen
anschließt.
Am besten wirkt für Kinder immer eine authentische erwachsene
Person als Vorbild.
© Helene Drexler
ist Psychologin und Psychotherapeutin mit eigener Praxis in
Wien.
Maskentanz – Wie
Menschen ihr wahres Ich verstecken
Helene Drexler
Goldegg Verlag
ISBN: 978-3-902729-57-6