Samstag, 6. Oktober 2018
Zusammen, aber nicht gefangen: die Legende der Sioux über Beziehungen
gesehen auf Gedankenwelt
Laut einer alten Legende der Sioux sollten beide Partner
Seite an Seite zusammen
fliegen können,
aber niemals aneinander gekettet und Sklave des
anderen sein,
damit eine Beziehung andauern und glücklich machen kann.
Denn
wahre Liebe kennt keine Fesseln,
sondern vereint zwei Individuen in einem
Projekt,
ohne dass eines der
beiden sein Wesen,
seine eigene Identität aufgeben müsste.
Es ist schon interessant,
wie die Weisheit der
amerikanischen Ureinwohner noch immer gültig ist,
wie die Sioux uns mit ihren
Geschichten und Legenden inspirieren,
uns stets erwachen lassen.
Die Sioux
sind eines von vielen weisen Völkern,
die uns dank einen enormen kulturellen
Schatz überliefert haben.
„Allein sind wir alle sterblich.
Zusammen sind wir
unsterblich.“
-Apuleius-
Den Sioux verdanken wir beispielsweise die Legende des
Traumfängers
und auch diese Fabel, die uns eine einfache aber entscheidende
Lektion
darüber vermittelt, wie man eine stabile und glückliche Beziehung
aufbaut.
Gleichzeitig möchten wir noch ergänzen,
dass es von Zitkala-Ša sehr spannende Bücher
zu den Geschichten und
Legenden der Sioux-Indianer gibt.
Zitkala-Ša war im
Westen aufgewachsen,
blieb aber den Traditionen ihres Volkes treu
und wurde zur Aktivistin.
Keine geringere als sie überlieferte uns Anfang des
20. Jahrhunderts
einen Teil des kulturellen Vermächtnisses der Sioux,
mithilfe
einfacher und gleichzeitig wundervoller Texte,
in denen auch diese wunderschöne
Legende,
die wir uns heute etwas näher anschauen wollen, zu finden ist.
Was die Liebe,
das Individuum
und die Beziehung für die Sioux bedeuten
Eine alte Legende erzählt, dass ein junges Paar der
Sioux-Indianer eines
Morgens den Schamanen ihres Volkes aufgesucht hätten.
Sie
lebten in der Nähe von Paha Sapa, heute Black Hills,
die für dieses Volk heilig
waren.
Der junge Mann war ein
mutiger Krieger
und in seinem Herzen trug er gleichermaßen Ehrbarkeit und
Edelmut.
Auch sie, eine Frau mit mandelförmigen Augen und vollem
Haar,
trug Mut in sich und vor allem diese tiefe Liebe,
wegen der sie den Krieger zum Mann nehmen wollte.
Der Grund, weshalb sie den Schamanen besuchten, war
folgender:
Sie hatten Angst, dass
ihre Verlobung,
diese fromme und stabile Liebe, die sie sich nun bekundeten,
irgendwann kaputtgehen könnte.
Sie befürchteten sogar, zu scheitern
und diese Liebe nicht lange erhalten zu können.
Sie wünschten sich, dass der
alte Hexer ihnen ein Mittel geben würde,
damit ihre Liebe ewig währen könne.
Die Herausforderung
Der alte Schamane sah sie einen Moment lang mit seinem
kantigen
und von den Jahren gezeichnetem Gesicht an.
Er rauchte ein paar
Pfeifen, schaute finster drein,
räusperte sich, um danach die Hand der
Indianerin zu ergreifen:
„Wenn du möchtest, dass dein Geliebter
eine lange
Zeit an deiner Seite verbleibt,
solltest du auf Reisen gehen.
Es wird nicht
einfach sein, lass dir das gesagt sein.
Du wirst auf diesen Hügel steigen, den
du dort hinten siehst,
und wirst
mit deinen eigenen Händen den stärksten
und schönsten Falken fangen.
Drei Tage nach Vollmond solltest du ihn dann lebendig herbringen.“
Daraufhin drehte sich der Schamane zu dem jungen Krieger um:
„Und nun zu dir:
Du solltest wissen, dass deine Aufgabe genauso schwierig
sein wird.
Du musst auf den
höchsten Berg klettern und einen Adler fangen.
Den schönsten,
anmutigsten und wildesten Adler.
Du solltest ihn am gleichen Tag wie deine
Geliebte herbringen.“
Das Ergebnis
Die junge Sioux-Indianerin und ihr Geliebter nahmen die
vom
alten Schamanen vorgeschlagene Herausforderung an
und kehrten schließlich zu
ihm zurück:
In einer Tasche aus Tierhaut trug sie einen Falken
und der junge
Krieger brachte den Adler,
den schönsten und stärksten, den er finden konnte.
Als sie beim Schamanen ankamen, fragten beide,
was der nächste Schritt
sei:
„Vielleicht müssen wir die Vögel opfern
und uns mit ihrem Blut
waschen?“, fragten sie sich.
„Nehmt die Vögel
und bindet sie mit einem Ledertuch an den Füßen
zusammen, sodass sie
beide aneinander hängen.
Danach lasst ihr sie fliegen, damit sie gemeinsam frei
sind“,
wies der Schamane das Paar an.
Beide blieben sprachlos,
als sie das Ergebnis sahen,
denn als die zwei wunderbaren Vögel versuchten, zu
fliegen,
gingen sie immer und immer wieder zu Boden.
Frustriert und wütend fingen sie an, sich gegenseitig zu
picken.
Der alte Schamane ging zu ihnen und befreite sie.
„Das ist der Schwur, mit dem ich euch belegen will:
Lernt
aus dem, was ihr gerade gesehen habt.
Wenn ihr euch aneinander bindet,
auch
wenn es mit Liebe ist,
werdet ihr letztendlich nur Gefangene sein,
euch auf die
Nerven gehen
und unglücklich sein.
Wenn
ihr möchtet, dass eure Liebe anhält,
fliegt beide hoch in die Luft,
aber
niemals aneinander gekettet.
Denn die wahre Liebe vereint,
legt
aber keine Fesseln an.“
Zusammen, aber nicht
gefangen
„Juntos, pero no atados“ (zu deutsch: Zusammen,
aber nicht gefangen) von Jaume Soler und Mercè Conangla ist ein weiteres
interessantes Buch, das diese zentrale Botschaft, die uns diese alte
Sioux-Legende vermittelt, behandelt. Die Autoren schlagen uns vor, eine angemessene „emotionale Ökologie“ zu
erschaffen.
„Miteinander lachen können, das ist Liebe.“
Françoise Sagan
Um die schwierige Herausforderung, eine stabile, glückliche,
reife und
bereichernde Partnerschaft aufzubauen, zu meistern, ist es
notwendig,
Stärken und Freiräume auszugleichen und eine Verbindung zu
erschaffen,
in der man eins sein kann, ohne sich selbst aufzugeben.
Gleichzeitig dürfen wir niemals unsere Identität, den Raum für Selbstliebe,
den
Garten des Selbstwertgefühls und diesen individuelle Essenz
aufgeben, wo unsere
eigenen Wünsche und alles,
was uns definiert, wohnen.
Zum Schluss möchten wir auch daran erinnern,
dass diese
Legende und das eigene Prinzip der emotionalen Ökologie
auf jede Art von
Beziehung angewandt werden kann,
sei es eine Freundschaft oder sogar eine Eltern-Kind-Beziehung.
Denn letztendlich sind wir
in jeder
Verbindung dazu verpflichtet,
den individuellen Raum zu respektieren,
um
dadurch den Zauber dieser Verbindung
zu beschützen.
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